Russland: Wie wurde aus der Kiewer Rus das Zarenreich?
- Aktualisiert: Montag, 17. April 2023 08:10
Etwa um 750 siedelten skandinavische Waräger/Wikinger nahe dem Ladogasee im Nordwesten Russlands, unweit zur Grenze Finnlands. Knappe einhundert Jahre später (838), entstand im überwiegend von Ostslawen bewohnten Gebiet zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und Konstantinopel so etwas wie eine erste staatliche Gemeinschaft, die der sogenannten Rus.
Vielfalt
Wen baten die (Ost)Slawen, die Herrschaft zu übernehmen?
Die Waräger/Wikinger.
Vertraut man der ältesten und wichtigsten russischen Geschichtsquelle, also der vom Mönch Nestor zu Beginn des 12. Jahrhunderts verfassten Nestorchronik, dann waren es die Slawen, die die Waräger um 862 herum baten, die Führung des von einer bunten, aber auch häufig arg zerstrittenen Mischung unterschiedlichster Ethnien bewohnten Landstrichs zwischen Nowgorod und Kiew zu übernehmen. Dieser Völkermix setzte sich zum Beispiel aus einer Unzahl (ost)slawischer Stämme, Balten, Finnen, asiatischer Steppenvölker und vornehmlich aus Schweden stammender Waräger/Wikinger zusammen.
Der führende Kopf, so die Chronik weiter, soll ein Waräger aus dem Stamm der Rus namens Rjurik aus Nowgorod gewesen sein. Dessen Herrschaftsbeginn markiert, laut Nestorchronik, die Entstehung der „Kiewer Rus“, des sogenannten „Altrussischen Reichs“.
Zusammenlegung
Wer führte Nowgorod und Kiew zusammen?
Jahre später soll es ein gewisser Oleg, ebenfalls Waräger aus dem Clan der Rurikiden, gewesen sein, der
- 879 weiter südlich auch Kiew unter seine Kontrolle brachte,
- 882 beide Landesteile, also die um Nowgorod sowie die um Kiew herum, unter seiner Herrschaft vereinigte,
- Kiew zur neuen Hauptstadt machte und
- so etwas wie eine erste stabile Regierung bildete.
Extension & Exkurs
Abwärtstrend
Was verursachte den schleichenden Niedergang der "Kiewer Rus"?
Jahrhunderte nach dem Großen und später heiliggesprochenen Wladimir/Wolodymyr I., dessen Tag der Taufe, der 28. Juli, sowohl in Russland (seit 2010), als auch in der Ukraine (seit 2008) zum nationalen Gedenktag erhoben wurde, begann im Laufe des 11.-13. Jahrhunderts der stetige Niedergang des Kiewer Großreiches.
Verursacht wurde der Absturz im Wesentlichen durch die ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen der diversen Teilfürstentümer um die Erbfolge auf den Herrschersitz in Kiew sowie durch die unablässigen Ein- und Überfälle asiatischer Reitervölker.
Letztes Aufflackern
Den Kiewer Großfürstenstuhl konnte 1157 ein gewisser Andrei Bogoljubski aus der Dynastie der Rurikiden (*1111/°1174) für sich entscheiden. Allerdings ließ er Kiew durch seinen Bruder plündern, verlegte das Machtzentrum der Rus von Kiew nach Wladimir, einer knapp zweihundert Kilometer östlich von Moskau gelegenen Stadt, legte sich mit dem Patriarchen von Konstantinopel an und ging 1174 den Weg allen Irdischen. Er wurde ermordet.
Mongolensturm und das Ende
Die Dauerkonflikte unter den Fürstentümern setzten sich indessen unverdrossen fort.
Was es den Mongolen leicht machte, die Rus für die kommenden gut drei Jahrhunderte auf unfreundliche und unschöne Art und Weise unter ihre Herrschaft und Abhängigkeit zu bringen. Zuerst fielen sie 1223 gnaden- und skrupellos in das Gebiet der Rus ein. Wenig später, 1237/1240, folgte unter Batu Khan, eines Enkels Dschingis Khans, die endgültige Machtübernahme der "Goldenen Horde".
Zwar dümpelten die verbliebenen Fürstentümer noch still vor sich hin, hatten aber ihre Bedeutung weitestgehend verloren, anders gesagt: Die "Kiewer Rus" war passé.
Stehvermögen
Was geschah nach dem Zerfall der "Kiewer Rus"?
Nach dem Aus der "Kiewer Rus" gelang es lediglich dem Fürstentum Moskau im 14/15. Jahrhundert,
- zum Großfürstentum aufzusteigen,
- politisch wieder Tritt zu fassen,
- die verbliebenen Fürstentümer zu unterwerfen,
- den Mongolen erfolgreich auf den Pelz zu rücken,
- das vormalige Territorium beträchtlich zu erweitern und – last not least –
den Grundstein des Russischen Reiches zu legen.
Im 16. Jahrhundert war es dann Iwan IV., der Schreckliche (*1530/°1584), der sich 1547 in Moskau nach orthodoxem Zeremoniell zum ersten Zaren krönen ließ – was somit dem Ursprung des bis 1917 andauernden russischen Zarenreiches entspricht.
Quellen:
- "Zaren, Popen und Bojaren" (Das farbige LIFE Bildsachbuch/rororo)
- "Russland – Portrait eines Nachbarn" (Gerd Ruge/beksche reihe: Verlag C.H. Beck)
- "Eine Geschichte Russlands" (Orlando Figes/Klett-Cotta)
- "Ukraine – Einblicke in den neuen Osten Europas" (Viktor Timtschenko/Ch. Links Verlag, Berlin)